Die gendergerechte Sprache ist aktuell in aller Munde. Das stimmt. Und das stimmt nicht.
Es stimmt, weil seit einigen Jahren ein richtiger öffentlicher Diskurs um das Thema geführt wird. Braucht es ein Binnen-I, ein Sternchen, gar eine weibliche Grundform statt der in der deutschen Sprache in der Regel üblichen männlichen? Darüber wird diskutiert, debattiert, gestritten.
Und es stimmt nicht, weil trotz all dieser Grundsatzdebatten nach wie vor nur eine Minderheit tatsächlich gendergerecht schreibt und spricht. In aller Munde also? Nicht wirklich.
In dieser ganzen Thematik geht es – darin besteht das ganze Problem – nicht nur um Sprache, sondern um viel mehr. Es geht um eine Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft und um die ernüchternde Erkenntnis, dass es um eben jene nicht gut bestellt ist. Beispiel ungleiche Gehälter. Beispiel ungleiche Aufstiegschancen im Beruf. Beispiel noch immer sehr traditionelle Geschlechterrollen. Und woran die Gesellschaft in so gut wie allen Bereichen krachend scheitert, soll nun die Sprache lösen.
Wie man’s macht, macht man’s falsch
Politiker, Unternehmer, Öffentlichkeitsarbeiter: Sie alle stellt das Thema Gendern vor eine schwierige Aufgabe. Vor jeder wie auch immer gearteten Kommunikation müssen sie sich fragen, wie sie ihre Zielgruppe eigentlich ansprechen wollen.
Die Hiobsbotschaft vorab: Es wird immer falsch sein.
Ein Beispiel. Schreibt ein Journalist „Die Putzfrauen beschweren sich bei den Politikern darüber, dass die Schüler keine Ordnung in den Klassenräumen halten“, muss er sich ganz sicher von manchem Leser anhören, dass es auch Putzmänner, Politikerinnen und Schülerinnen gibt, die er allesamt in seinem Text ausgeklammert hat – und da bleibt das dritte Geschlecht sogar noch unerwähnt.
Formuliert er aus Angst vor eben jener Kritik den Satz von Anfang an um und schreibt „Die Putzfrauen und -männer beschweren sich bei den PolitikerInnen darüber, dass die Schüler/innen keine Ordnung in den Klassenräumen halten“, bekommt er nicht nur mit dem Chefredakteur Ärger, sondern auch mit einem anderen Teil der Leserschaft, der solche Formulierungen schlicht für groben Unfug hält – jeder wisse doch, dass mit den Schülern die Schülerinnen mitgemeint sind.
In Leipzig wird die Sprache weiblich
Dass man darüber hinaus auch noch fröhlich streiten kann, ob es genderkorrekt nun eher PolitikerInnen mit großem Binnen-I, Politiker:innen, Politiker/innen, Politiker und Politikerinnen oder doch vielmehr Politikerx mit kleinem x oder Politiker* mit Sternchen heißen soll – geschenkt.
Für mediales Aufsehen sorgte vor fast 10 Jahren die Universität Leipzig, die sich 2011 dazu entschloss, die weibliche Form zur Grundform zu machen und damit die deutsche Sprachgeschichte einfach mal eben auf den Kopf zu stellen. Der „Spiegel“ titelte mit „Guten Tag, Herr Professorin“ und beim Gleichstellungsbeauftragten der 600 Jahre alten Bildungsinstitution glühte zwei Wochen lang das Telefon, weil selbst Journalisten aus Vietnam und Russland anriefen.
Auch andere Institutionen, Unternehmen oder Städte wie Hannover bemühen sich inzwischen um eine gendergerechte Sprache. Das Versandunternehmen Otto verkündete im Sommer 2019 auf seiner Webseite unter dem Titel „Sprache ist für alle da“, künftig auf ein Sternchen zu setzen, um klarzustellen, dass sich unabhängig von biologischen oder anderen Geschlechtern alle Menschen angesprochen fühlen sollen.
Gendern oder nicht gendern: Die Deutschen sagen ganz klar Nein
Aber bringt das überhaupt etwas? Und was halten die Deutschen eigentlich vom Gendern?
Klare Antwort: so gut wie nichts.
In einer Umfrage gaben im Jahr 2019 vier von fünf Befragten an, die gendergerechte Sprache für übertrieben und überflüssig zu halten. Mehr als 60 Prozent finden die Gendersprache unwichtig oder sehr unwichtig für die Gleichstellung der Frauen in Deutschland – und die Werte sind bei beiden Geschlechtern gleichermaßen ausgeprägt.
Auch unter Kommunikationsprofis ist die gendergerechte Sprache umstritten, wie die Branchenzeitschrift „Pressesprecher“ des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher unlängst in einem Beitrag aufzeigte. So findet etwa Cornelia Kunze, Erste Vorsitzende von GWPR Deutschland, einem Netzwerk für mehr Frauen in Führungspositionen in der Kommunikationsbranche, dass es beim Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter auf andere Punkte als das Gendern ankomme. „Denkt man über die katalysatorische Wirkung von Veränderungsmaßnahmen nach, steht Sprache für mich nicht auf Platz 1“, sagt sie.
Drastischer drückt er der Autor und Journalist Andreas Hock aus, der im Gendern ein „Attentat auf Ästhetik, Schriftbild und Kommunikationskultur unserer Sprache“ sieht.
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Verein Deutscher Sprache fordert: „Schluss mit Gender-Unfug!“
Gendersprache als Angriff auf die deutsche Sprache: Das sehen viele so. Unter dem Titel „Schluss mit Gender-Unfug!“ hat der Verein Deutsche Sprache im Frühjahr 2019 dem Binnen-I und Gendersternchen den Kampf angesagt. In dem Aufruf, dem sich Stand Juni 2020 knapp 77.000 Unterzeichner angeschlossen haben, wird sich gegen die „durch das Bestreben nach mehr Geschlechtergerechtigkeit motivierten zerstörerischen Eingriffe in die deutsche Sprache“ gewandt. Zu den 100 Erstunterzeichnern gehörten etwa der langjährige Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, und Wolf Schneider, der wohl bekannteste Journalistenausbilder Deutschlands und Autor zahlreicher Bücher zu korrektem Deutsch.
Die Argumente, die sie ins Feld führen, spiegeln zum einen den Wunsch wider, die deutsche Sprache bewahren und vor „lächerlichen Sprachgebilden“ schützen zu wollen. Zum anderen sind für die Autoren des Ausrufs die Gender-Bestrebungen „auch kein Beitrag zur Besserstellung der Frau in der Gesellschaft“. Sie erkennen in der ganzen Debatte einen „Generalirrtum: Zwischen dem natürlichen und dem grammatischen Geschlecht bestehe ein fester Zusammenhang. Er besteht absolut nicht.“
Ebenfalls zeigt die Realität, dass die Genderideologie nicht funktioniert. Sowohl im türkischen als auch im persischen gibt es keine Artikel, somit sind die Sprachen von Natur aus im Neutrum. Dabei wird wohl niemand widersprechen, dass weder die Türkei noch der Iran eine Vorbildsfunktion in Sachen Frauenrechte aufweisen.
Als weiteres Argument lässt sich anführen, dass häufig Satzkonstruktionen entstehen, die logisch keinen Sinn ergeben. Oder wie ist es zu verstehen, wenn die folgende fiktive Aussage getroffen wird: „80% der ManagerInnen sind weiblich“. Das macht absolut keinen Sinn, da 100% der Managerinnen weiblich sind und 0% der Manager.
Schlussendlich lässt sich ebenfalls anführen, dass die deutsche Sprache auch das generische Femininum kennt. Wenn wir von Katzen sprechen, dann ist jedem bewusst, dass die Katze auch männlich sein kann oder haben Sie schon mal jemand kennengelernt, der automatisch davon ausgeht, dass alle Katzen weiblich sind?
Sprache ist kein Allheilmittel für die gesellschaftlichen Probleme
Tatsächlich kann man sich beim Blick in die deutsche Sprache in punkto Geschlechterverteilung so einige Fragen stellen – und daraus die Vermutung ableiten, dass die Debatte um eine gendergerechte Sprache nicht auf alle davon eine Antwort geben wird. Wieso strahlt zum Beispiel „die“ Sonne hierzulande weiblich und leuchtet „der“ Mond männlich? Und was denkt sich die französische Sprache dabei, es genau umgekehrt zu handhaben?
Sprachen sind immer auch ein Spiegel der Kultur. Und damit der Gesellschaft. Bestimmt ist es nicht falsch, die deutsche Sprache immer wieder zu diskutieren, zu überprüfen, zu modernisieren – genau wie das auch mit der gesamten Gesellschaft stetig getan werden sollte. Ob die Gendersprache jedoch als Heilmittel für Probleme taugt, die deutlich tiefer verwurzelt sind? Oder ob sie nicht vielmehr die Debatte um die tatsächlichen Probleme verkompliziert, weil hinter all dem Streben nach Political Correctness die eigentliche Sache völlig verschwindet?
Die Diskussion geht weiter. Und ist – zumindest so viel ist sicher – ihrem grammatischen Geschlecht nach: weiblich.